„Ich habe nachts keine Angst mehr auf der Straße“
Das sagt mir der Obdachlose Heiko, als ich ihn danach frage, was sein Hund Flocke ihm bedeutet.
Ich komme ins Gespräch mit den beiden, da ich jeden Tag mit dem Rad auf dem Weg zur Arbeit an ihnen vorbeifahre. So sicher wie mein Kaffee am Morgen, sitzen sie ab 07:30 vor dem Luxus-Handtaschen Geschäft „Longchamp“ direkt am Kölner Dom.
Während ich anfangs noch etwas verhalten auf den süßen Labradorrüden schiele, bringe ich schon bald jeden Tag ein Leckerchen für Flocke und einen Euro für Heiko mit.
Heiko ist 43 und lebt seit 30 Jahren auf der Straße. Flocke ist 10 und kennt kein anderes Leben.
Warum lebst Du auf der Straße?
Ich hatte ein scheiß Elternhaus, bin in Heimen groß geworden und mit 13 hatte ich kein Bock mehr. Selbst das Jugendamt wusste, dass ich eh mache was ich will. Also habe ich mein Leben auf der Straße begonnen.
Seit wann ist Flocke an Deiner Seite?
Ich habe ihn mit 8 Wochen gekriegt. Von einem Freund, der ihn eigentlich ins Tierheim geben wollte. Keiner wollte ihn haben.
Was bedeutet Dir Flocke?
Sehr viel. Eigentlich alles. Er ist ein treuer Begleiter, gibt keine Widerworte (lacht). Aber für mich ist auch ganz wichtig, dass ich keine Angst auf der Straße haben muss. Zum Beispiel, dass mich einer zusammenschlägt oder beklaut oder so.
Wer schlägt Dich einfach zusammen?
Das sind meistens einfach Betrunkene, die Samstagnacht nach Hause gehen. Das letzte Mal sogar Vater und Sohn, glaub ich. Just for Fun. Wach geworden bin ich von einem Tritt in den Bauch. Dann hat sich Flocke auch direkt in seinem Bein fest gebissen. Die Typen waren dann ganz schnell weg. Seitdem ich Flocke habe, passiert das aber nicht mehr so häufig. Wenn ich die Bedrohung vorher mitbekomme, sag ich direkt „Ey, kommt mir nicht zu nahe.“ Die zweite Warnung kommt dann von Flocke. Er bellt und knurrt.
„Wer einen Hund hat muss draußen pennen.“
24 Stunden am Tag – 7 Tage in der Woche – 365 Tage im Jahr zusammen. Kein Tag ohne den anderen. Auf der kleinen Decke in der Innenstadt schmiegt sich Flocke eng an Heiko, legt seinen Kopf auf seinem Bein ab. Jetzt im Winter spenden die beiden sich Wärme.
Macht Flocke die Kälte etwas aus?
Nein gar nicht. Bei uns wird es ja auch gar nicht mehr so kalt. Aber er ist es gewohnt draußen zu sein und ist deswegen abgehärtet.
Was tust Du gegen die Kälte?
Einfach mehr Decken und Schlafsäcke.
Aber reichen da Decken aus? Vor allem nachts?
Wenn ich draußen schlafe, habe ich noch eine extra Fußmatte, die ich unterlege. Was uns Obdachlose mit Hunden helfen würde wäre ein Haus, wo wir auch mit Hunden reinkommen. Flocke ist in keiner Notunterkunft erwünscht. Das ist seit Jahren ein Problem. Wer einen Hund hat muss draußen pennen.
In Köln bietet die Stadt ja auch immer noch von Oktober bis März zusätzlich die „Winterhilfe“ an. Also noch mehr Unterkünfte. Aber auch da sind keine Hunde erlaubt. Wir haben uns schon ganz oft beschwert – sogar schriftlich – da reagiert aber niemand drauf. Mit uns kann man es ja machen.
Und tatsächlich. Ich frage beim Service-Telefon der „Winterhilfe“ der Stadt Köln nach. Es gibt keine Unterkünfte, wo Männer mit Hund erlaubt sind. Lediglich bei der Frauenanlaufstelle SkF e.V. „Comeback“ sind Tiere willkommen.
Heiko hat seit kurzem Gott sei Dank die Möglichkeit in einem Bauwagen am Stadtrand von Köln zu schlafen. Da sind sie sicherer. Trotzdem zieht es ihn ab und zu noch auf die Straße. Nach 30 Jahren als Obdachloser, so sagt er, empfindet er das wie eine Sucht, einen Drang. Dann schläft er für zwei, drei Nächte draußen.
Die Miete für den Bauwagen übernimmt das Amt. Weitere 200,- Euro bekommt er noch zum Leben. Eigentlich, so sagt mir Heiko, stehen ihm 409,- Euro zu. Warum er weniger bekommt, weiß er nicht.
Musst Du Hundesteuer bezahlen?
Ja, 150,- Euro im Jahr. Das spare ich mir zusammen. Anfangs hat mich auch das Ordnungsamt kontrolliert. Mittlerweile kennen die mich natürlich und wissen dass ich die Steuer immer bezahle. Flocke kostet mich im Monat nochmals 40,- Euro.
Und wie viel erschnorrst Du Dir am Tag?
Wenn es richtig gut läuft so 40 Euro. Wenn es schlecht läuft nur 10,00. Zum Monatsende merken wir, dass das Geld im Portemonnaie nicht mehr so locker sitzt.
„Wenn die Stadt richtig voll ist, hat Flocke Angst.“
Wie sieht Euer Alltag aus?
Morgens um 05:00 oder 06:00 stehen wir auf. Um sieben fahren wir mit der Bahn hier in die Stadt zum schnorren. Bis 12:00/13:00. Wenn ich dann Geld zusammen habe gehe ich einkaufen. Hundefutter und für mich was. Um 14:00 nochmal schnorren bis 17:00/17:30.
Was kriegt Flocke zu fressen? Hundefutter oder teilst Du Dir einfach Essen mit ihm?
Flocke isst eigentlich alles. Trockenfutter oder Nassfutter. Mittlerweile kriegen wir oft was von den Leuten geschenkt.
Morgendliche Stammbesucher wie Frau Schmitz bringen Flocke auch täglich Essen vorbei. Ihre Ration besteht aus Fleisch wie Hühnerfleisch oder Beinscheibe und einer Schale Haferflocken mit etwas Trockenfutter gemischt. Aufgelöst in Wasser. Das füllt den Magen. Frau Schmitz arbeitet direkt am Dom, war selber Hundebesitzerin und kennt Heiko und Flocke schon seit 7 Jahren.
„Ich habe jeden Tag etwas dabei. Falls die beiden nicht am Platz sind, kommt das Essen erstmal in den Kühlschrank bei der Arbeit. Dann bringe ich es halt später runter. Flocke ist wirklich lieb.“
Flocke und Heiko sind beliebt. Heiko spricht mit den umliegenden Ladenbesitzern. Man kennt sich einfach schon seit 10 Jahren. Vertrauen baut sich auf und Heiko darf z.B. im Haus gegenüber bei einer Augenärztin das WC nutzen. Er hat sogar die Telefonnummern von zwei Stammbesuchern. Sie bieten an, dass er sie anruft, sollte z.B. etwas mit Flocke sein. Dann bringen sie ihn zum Tierarzt. Flocke ist aber gesund und Arztbesuche sind nicht nötig. Anrufe sind eigentlich nicht nötig. Vielmehr melden sich die Leute bei Heiko. Wenn er mal nicht da ist kommen besorgte Nachfragen.
Flocke wirkt sehr ruhig, entspannt, schläft viel.
Flocke scheint den Trubel in der Innenstadt gut wegzustecken?
Das täuscht. Wenn die Stadt richtig voll ist, dann hat er Angst, lässt keinen an sich ran. Es sei denn, er kennt die Leute. Die, die regelmäßig kommen dürfen ihn gerne bekuscheln. Wenn es zu voll ist, überdreht er aber auch und ist sogar leicht aggressiv. Zum Ausgleich machen wir dann einen Spaziergang an den Rhein. Direkt hinter dem Dom. Etwas abseits der Innenstadt gibt es ruhige Wiesen. Da kann er auch mal toben. Aber besser da wo nicht so viele Hunde sind.
Mit anderen Hunden versteht er sich also nicht so gut?
Andere Rüden kann Flocke gar nicht ab. Es sei denn er kennt sie. Flocke ist nicht kastriert. Bei uns in der Bauwagen-Gemeinschaft gibt es auch andere Hunde. Ein paar kann er nicht leiden, aber mit einigen spielt er gerne.
Wenn in der Fußgängerzone ein anderer Hund vorbei kommt, dann kann er auch schon mal aggressiv werden. Das merke ich auch beim Interview. Er springt auf, bellt laut: Leine sei Dank hat Heiko Flocke aber sofort im Griff. Deswegen hält Heiko Flocke auch am besten direkt die Augen zu, wenn er die „Gefahr“ kommen sieht.
Ist der Bettelumsatz durch Flocke höher?
Ja schon. Es gibt ja auch viele Obdachlose die sich Hunde vor dem Betteln irgendwo abholen und sie nur zum Betteln einsetzen. Vor allem die Bettelmafia – die Rumänen. Die haben oft kleine Welpen. Gerade mal zwei, drei Monate alt. Die Kleinen ziehen einfach bei den Leuten. Russen und Polen fangen auch mittlerweile damit an.
Ist Alkohol oder sind Drogen ein Thema für Dich?
Alkohol trinke ich nicht. Drogen habe ich früher genommen. Bin seit acht Jahren clean. Ich habe davor lange Zeit am Drogen-Programm teilgenommen. Und Flocke mag keine alkoholisierten Leute die rumpöbeln oder rumschreien.
Beschäftigt Dich der Gedanke, was ist, wenn Flocke mal nicht mehr da ist?
Klar, ab und zu denke ich darüber nach. Er ist 10 Jahre. Was mache ich dann? Direkt einen neuen Hund holen, wie andere das oft machen, das mache ich nicht. Aber irgendwann schon. Manchmal ergibt sich ja auch irgendwas. Erst mal bin ich froh, dass ich Flocke noch habe. Er ist ja ziemlich fit.
Hört Flocke gut auf Dich? Kann er die üblichen Kommandos wie Sitz und Bleib?
Ich sage jetzt nicht Sitz oder platz (lacht). Ich sage halt eher „Arsch runter“ oder „Leg Dich hin.“ Dann macht er das. Solange kein Rüde vorbei kommt, hört er bombastisch.
Glaubst Du, dass es ein Hund auf der Straße besser hat, als in einem „normalen“ Zuhause? Ich weiß es nicht. Aber viele die vorbei kommen sagen mir, dass die Straßenhunde es doch viel besser haben, weil sie die ganze Zeit beim Herrchen, quasi im Rudel sind. Nur nachts kann es vorkommen dass Flocke alleine draußen schläft. Seitdem wir im Bauwagen wohnen, lasse ich einfach die Tür auf, wenn es warm ist.
Wenn ich Flocke und Heiko sehe und mit ihnen spreche, weiß ich, dass ich mir keine Sorgen um Flocke machen muss. Er bekommt zu jeder Zeit Aufmerksamkeit, Ansprache und Nahrung. Er muss nichts können. Keine Tricks. Kein Pfötchen geben oder High Five, kein Männchen machen. Dass die Innenstadt anstrengend für Flocke sein kann, ist klar. Aber wenn ich an unseren Nachbarshund denke, der in einem Zwinger im Garten gehalten wird, weiß ich, dass Flocke im Gegensatz dazu nicht allein ist.
Flocke geht es gut. Ich bin froh, dass die beiden sich haben. Sie geben sich Sicherheit und gegenseitiges Vertrauen.
8 Comments
Anika
29. November 2017 at 16:13Was für ein toller Blogpost! Die Geschichte von den beiden hat mich zu Tränen berührt! ❤️ Ich wünsche den beiden alles beste!
balufromtheblog
1. Dezember 2017 at 10:06Danke liebe Anika! Das werde ich Ihnen gerne ausrichten. Heiko hat sogar manchmal selbst Zugang zum Internet und sieht es vielleicht. Ganz liebe Grüße, Martine
Julika
5. Dezember 2017 at 11:41Sehr, sehr schön geschrieben liebe Martine!
balufromtheblog
16. Dezember 2017 at 8:46Danke liebe Julika
Manuela
13. Dezember 2017 at 19:54Ich war heure in Köln und habe Heiko und Flocke besucht. Ich bringe immer, wenn ich in Köln bin, etwas für die beiden mit – würde aber gerne mehr tun. Die beiden sind so nett!!!
balufromtheblog
16. Dezember 2017 at 8:48Das freut mich so Manuela! Und Die beiden erst 🙂
Samanta
11. Juli 2024 at 20:37Guten Tag ich habe mal ne frage mein freund sucht sein vater und der vater ist der heiko und das ist er auch auf den bilder und mein freund ist jetzt auch in köln und möchte sein vater sehe können sie uns tipp sagen wo der heiko sich immer aufhalten tut
Nicole
18. September 2020 at 0:55Ja das stimmt Heilo war schon immer ein guter Mensch.. .auch zu seinen zwei Kindern war er gut…..ich würde nie was auf ihn kommen lassen….